Skip to content

Henry Hopkins

Henry Hopkins

Henry Hopkins war ein kreativer Mann. Er hatte schon viele Dinge erfunden und er wollte noch weitere erfinden. Doch den großen Wurf hatte er bisher noch nicht landen können und für manche seiner Erfindungen war er sogar ausgelacht worden. Immerhin, von den Einkünften die er aus den Patenten seiner Erfindungen bezog, vor allem von dem Geld das er mit seinem automatischem Schallplattenwechsler verdiente, konnte er ein bescheidenes, unabhängiges Leben führen. Es reichte, und das war das wichtigste, auch für seine Arbeit. Und vor einigen Jahren hatte er auch noch das kleine Landhaus geerbt. Das war das größte Glück, das ihm in seinem bisherigen Leben widerfahren war und er verstand es bis heute nicht, warum seine Tante es ausgerechnet ihm vermacht hatte, obwohl in der Verwandtschaft so viele Menschen waren, die ihr näher gestanden hatten als er. Außerdem galt Henry als das schwarze Schaf in der Familie. Von Kindesbeinen an hatte er gebastelt und getüftelt und schon früh hatte er gewusst, dass er Erfinder werden wollte. Zuerst hatten es alle für eine Spielerei und für Kinderträume gehalten. Sie hatten gedacht auch Henry werde letztendlich Anwalt werden, so wie alle Männer in der Familie. Denn seit Generationen gab es in der Familie Hopkins nur Anwälte, und niemand hätte je daran gezweifelt, daß das auch so bleiben würde.

Bis Henry kam und Erfinder werden wollte.

Sie hatten ihn erst an dem Tag ernst genommen, an dem er das College verließ. Die Familie war sehr aufgebracht gewesen und prophezeite ihm, er würde in der Gosse landen. So wurde Henry zum Sündenbock und die Familie hatte ihn fallen lassen, wie eine heiße Kartoffel.

Einzig und allein Tante Emmy hatte damals vorsichtig ein wenig Verständnis für Henry durchblicken lassen. Bald jedoch hatte auch sie den Kontakt zu Henry abgebrochen, wohl um sich nicht mit der Familie zu überwerfen. Aber auf dem Totenbett hatte sie allen einen Streich gespielt und Henry ihr kleines Landhaus vererbt.

Henry konnte sich ein Lächeln nicht unterdrücken, als er sich vorstellte wie betrübt wohl alle dagesessen hatten, als der Testamentsvollstrecker diese Verfügung vorgelesen Hatte. Zuerst ungläubige, dann erstarrte Mienen, in denen sich schließlich Entsetzen breit machte. Es hatte sicher sehr heftige Ausbrüche der Empörung gegeben, aber alle hatten sich schließlich damit abfinden müssen. Vor allem Cynthia, Henrys Cousine, war vermutlich sehr aufgebracht. Sie hatte sich ernsthafte Hoffnungen auf das Haus gemacht und innerlich nie daran gezweifelt es auch zu erben, denn schließlich war sie die einzige gewesen, die Tante Emmy wöchentlich besucht hatte. Wahrscheinlich aber hatte die Tante den Braten gerochen, denn zwischen ihr und Cynthia hatte es nie besondere Sympathien gegeben. Es war also zu offensichtlich, wozu Cynthia sich zunehmend um die alte Dame bemüht hatte. Das alles war vergeblich und Henry besaß nun das kleine Landhaus. Es war ihm eine Genugtuung für all die Demütigungen und Beschimpfungen die er hatte erfahren müssen.

Doch das schönste an seiner Erbschaft war, dass zu dem Landhaus ein großes, fast parkähnliches Grundstück gehörte, an dessen Ende ein kleines, altes Gartenhaus stand. Dieses Gartenhaus hatte nur zwei Räume. Der eine war groß und rechteckig. Er hatte sechs Fenster und war somit hell genug, damit Henry hier sein Labor einrichten konnte.

Der kleinere, eher quadratische Raum hatte zwar nur zwei Fenster, war aber immer noch hell genug, damit Henry dort seine Bücher und sein Planungsbüro unterbringen konnte. In diesem Gartenhaus hatte Henry optimale Arbeitsbedingungen, und er nutzte sie auch. Dort verbrachte er die meiste Zeit des Tages und ließ sich durch nichts und niemanden stören.

Seitdem er das Haus und regelmäßige Einkünfte besaß, konnte er ein sorgenfreies Leben führen. In früheren Jahren hatte er oft nicht gewusst, woher er die Miete und das Essen nehmen sollte und das hatte ihn sehr in seiner Arbeit behindert. Wenn man zu viele Sorgen hatte, konnte man nicht erfinderisch sein, und von der Familie hatte er auch keine Unterstützung erwarten können.

Da er nun aber unabhängig war, hatte er die nötige Muße, um sich seinen Erfindungen zu widmen. Wenn er jetzt zum Patentamt ging, dann waren seine Erfindungen ausgereift und bis ins Detail durchdacht. Früher hatte er zu sehr unter Geldnot gelitten und versucht halbfertige Erfindungen zu verkaufen, die dann aber kaum jemand gewollt hatte. Die so gesammelten Frustrationen hatten ihn nicht gerade beflügelt und er lebte in einem Teufelskreis, der erst durch das Erbe durchbrochen wurde.

Jetzt lebte und arbeitete er gänzlich ohne Druck und das kam seinen Erfindungen sehr zugute. Immer öfter fand er Menschen, die seine Erfindungen haben wollten und bald schon würde Henry es zu bescheidenem Wohlstand gebracht haben.

Es gab nur zwei Dinge, die Henry Hopkins noch erreichen wollte. Das eine war eine Erfindung, die ihn berühmt machen würde. Dazu hatte er schon einige Ideen und Entwürfe, auf die er große Hoffnungen setzte.

Das andere war eine Frau.

Henry sehnte sich mit zunehmendem Alter immer mehr danach, sein Leben mit einem anderen Menschen zu teilen. Bisher war sein Leben zu unstet verlaufen und zu sehr mit Arbeit angefüllt gewesen, als da er daran gedacht hätte zu heiraten. Außerdem waren ihm in seinem Leben nur sehr wenige Frauen begegnet, so dass Henry auf diesem Gebiet über einen nicht gerade reichen Erfahrungsschatz verfügte. Jetzt war Henry ein Mann in mittleren Jahren, und es war höchste Zeit, sich nach einer Frau umzusehen, Wenn er nicht als Junggeselle sterben wollte.

Henry war ein kleiner untersetzter Mann mit kurzen Beinen. Vor sich trug er einen gemütlichen, runden Bauch, den er mit seinen kurzen, aber sehr kräftigen Armen nur mit Mühe umspannen konnte. Er hatte einen kleinen runden Kopf, der nur noch spärlich mit weißen Haaren besetzt war. Auf der ebenfalls rundlichen, und zudem noch leicht rotgeäderten Nase saß ein goldgerandete Nickelbrille, hinter der sich zwei klare, blaue Augen verbargen. Sein breiter, roter Mund war gerahmt von kräftigen Wangen und einem ausdrucksstarkem Kinn.

Henry vereinte in seiner äußeren Gestalt den Gelehrten ebenso wie den Handwerker und es war durchaus angenehm, in anzusehen. Er brauchte sich also keine Sorgen zu machen, daß ihm sein Äußeres bei der Brautschau ein Hindernis sein sollte. Außerdem war er ein sehr gepflegter Mann, der weder rauchte noch unmäßig trank. Zudem hatte er einen auserlesenen Geschmack in fast allen Dingen.

Einer Heirat stand also nichts entgegen, außer das ihm die passende Frau bisher noch nicht begegnet war. Dabei waren seine Ansprüche, zumindest auf den ersten Blick, nicht allzu groß. Seine zukünftige sollte ein akzeptables äußeres haben, sie durfte weder viel älter oder jünger sein als er selbst, und sie sollte eine solide Bildung besitzen. Es ging ihm ja nicht um eine billige Haushälterin, dazu hatte er ja die gründliche Ms. Bixby. Henry wollte eine Lebensgefährtin, mit der er sich an langen Abenden unterhalten konnte. Später, im Alter, wollte er dann mit ihr die Welt bereisen, und sich all die Kulturen ansehen, von denen er bisher nur gelesen hatte.

An einem regnerischen Sonntagmorgen beschloss Henry Hopkins, daß endlich etwas geschehen müsse. Er war gerade aufgewacht und betrachtete mit halb geöffneten Augen die Decke seines Schlafzimmers. Sie war in einem warmen Ockerton gestrichen und hatte einige kunstvolle Verzierungen aus weißem Stuck.

Lange ließ Henry seine Blicke an ihnen entlang schweifen, und wenn er dann die Augen schloss, hatte er den Eindruck, er könne sie immer noch sehen. Wenn er dann aber die Augen wieder aufschlug, hatte er jedesmal den Eindruck, als sei der Raum höher geworden und die Strukturen seien weiter von ihm fortgerückt. Wenn er es sich allerdings recht überlegte, dann hatte er doch eher den Eindruck, als würde er in sich zusammenschrumpfen.

„Wenn ich noch ein paarmal die Augen schließe und wieder öffne, dann werde ich so klein wie eine Fliege sein. Oder vielleicht werde ich so weit schrumpfen, bis ich endlich gar nicht mehr da sein werde. - Ob es überhaupt jemand bemerken würde? Sicher- Mrs. Bixby würde sich bereits heute Mittag wundern, wo ich denn nur geblieben bin. Noch nie ist in meinem Haus etwas unerwartetes geschehen, so dass sie es sofort bemerken würde. Aber ob sie traurig wäre? Und wenn ja- würde sie um mich trauern? Oder nur um eine angenehme Anstellung? Ich bin immer gut zu ihr gewesen und habe sie zudem auch sehr gut bezahlt. Sie ist ja wirklich eine gute, warmherzige Frau, aber ob sie mich auch vermissen wird? Und meine Familie? Die werden wohl erleichtert sein, das der einzige Schandfleck in der Geschichte der Familie verschwunden ist und vermutlich werden sie mich sogar aus der Familienchronik streichen. Einzig Mutter wird wohl eine Träne für mich haben. Die anderen würden sich allerdings sehr um das Haus des schwarzen Schafes bemühen: ein amüsanter Gedanke! Auch die Patente wären sicher Gegenstand heftigster Auseinandersetzungen. Denn selbst die Wolle eines schwarzen Schafes ist noch ein paar Schillinge wert!“

Dies und ähnliches mehr dachte Henry während er in seinem Bett lag und immer kleiner wurde. Er wollte nicht aus dieser Welt gehen ohne etwas zu hinterlassen. Aber wenn er sich nicht bald aufraffen konnte aufzustehen, dann würde er einfach wegschrumpfen und nicht einmal sein Körper bliebe übrig. Doch Henry lag einfach da, wurde immer kleiner und konnte nichts dagegen tun. Er hörte nur, das der Regen stärker wurde und ein Gewitter aufzog. Henry dachte an die arme Mrs. Bixby. Kein Wetter konnte sie davon abhalten zu ihm hinauszukommen um ihm den Haushalt zu führen. Er hatte ihr schon oft gesagt, sie solle doch am Wochenende zu Hause bleiben, aber sie bestand darauf am Wochenende wenigstens für ihn zu kochen und einen Kuchen zu backen. Ihm war es eher unangenehm, das sie diese Zeit, die eigentlich ihrer Familie gehörte, bei ihm verbrachte. Und außerdem musste es ja auch sehr anstrengend für sie sein. Denn erst kochte sie für ihre Familie, und dann kam sie den weiten Weg hinaus, um für ihn zu kochen. Und Henry fragte sich nun, ob Mrs. Bixby eigentlich selbst genügend Zeit hatte, um eine ordentliche Mahlzeit zu sich zu nehmen. Seltsam, der Gedanke war ihm bisher nie gekommen, aber er hatte nun das ungute Gefühl, das es auch genau so war. Henry empfand auf einmal starkes Mitgefühl für Mrs. Bixby, die heute zu allem Überdruss auch noch völlig durchnässt sein würde, wenn sie bei ihm ankam. Vielleicht würde sie sich sogar eine Erkältung holen. Aber bei genauerem Überlegen war das recht unwahrscheinlich, denn seitdem sie für Henry arbeitete, hatte sie noch keinen Tag wegen Krankheit gefehlt. Sie musste eine sehr gesunde Frau sein.

Dennoch tat es Henry sehr leid, dass sie ausgerechnet bei einem solchen Regenwetter vergeblich kommen würde. Henry würde bis zu ihrer Ankunft weggeschrumpft sein, und eine völlig durchnässte Mrs. Bixby würde überall nach ihm suchen. Vergeblich!

Henry hätte gerne gewusst, wie spät es war. Doch er war zu schwach, zu klein um die schwere Armbanduhr vor die müden Augen heben zu können. Er schloss die Augen und spürte wie er sich in Nichts auflöste, wie er verschrumpfte. Es war gar nicht mehr nötig die Augen zu öffnen um sich davon zu überzeugen, dass er bereits nicht mehr größer sein konnte als eine Erbse. Er war bereits ein Nichts, ein unbemerktes Nichts und in wenigen Minuten würde er ganz verschwunden sein. Die riesige Bettdecke lag wie ein Felsen auf ihm und nahm ihm die Luft. Er japste und schnaufte, aber es half alles nichts. Die Luftmoleküle waren bereits so groß, das sie nicht mehr in seine Atemwege passten. Unaufhaltsam schrumpfte Henry Hopkins zusammen, und dann, ganz plötzlich, war alles vorbei!

„Oh Gott! So hatte ich mir das nicht vorgestellt!“ dachte Henry. Er wusste nicht wo er war. Im Himmel, in der Hölle oder sonst irgendwo. Das war ihm auch beinahe egal. Aber eines war ihm ganz sicher nicht egal. Denn was er ganz gewiss nicht ausstehen konnte, war, wenn man ihn an den Schultern packte und rüttelte und schüttelte. Es war ihm daher so verhasst, weil sein Vater es so oft mit ihm gemacht hatte. Immer wenn er als Kind etwas falsch gemacht hatte, musste er zu seinem Vater gehen, um sich belehren zu lassen. Der hatte ihm dann minutenlange Vorträge gehalten und Henry währenddessen unaufhörlich an den Schultern gerüttelt, das ihm Hören und Sehen vergangen war.

Wie viel lieber hätte Henry von seinem Vater eine schallende Ohrfeige erhalten, als dieses ewig gleiche Ritual über sich ergehen lassen zu müssen. Aber sein Vater, der sich selbst offensichtlich für einen begabten Pädagogen gehalten hatte, hatte für eine Bestrafung durch Schläge nichts übrig gehabt.

Henry war sich jetzt sicher, das er in der Hölle war. Im Himmel konnte niemand so gemein sein und ihn dermaßen an den Schultern rütteln. Außerdem, wieso hätte ihn im Himmel eine weibliche Stimme rufen sollen? Henry versuchte zu verstehen, was da gerufen wurde, aber dazu musste er sich erst einmal mühevoll konzentrieren:

„Mr. Hopkins! Um Himmels Willen Mr. Hopkins- machen sie doch die Augen auf! Mr. Hopkins!“

Henry war verwirrt. Diese Stimme kam ihm doch sehr vertraut vor. Aber er fürchtete sich, die Augen zu öffnen. Doch irgend etwas musste jetzt geschehen, damit dieses elende Schütteln ein Ende fand. Henry beschloss etwas zu sagen:

„Wo- wo bin ich?- Himmel oder Hölle?“

Henry erschrak. Denn erstens hatte er sich ziemlich blöde angehört, und zweitens klang seine Stimme sehr lebendig.

„Ach Mr. Hopkins! Was reden sie denn da? Sie sind doch hier, in ihrem Schlafzimmer! Ich bin’s ja nur. Mrs. Bixby, Ihre Haushälterin!“ Und dann hörte Henry nur noch ein Schluchzen und Weinen und er spürte wie sich jemand neben ihm auf die Bettkante setzte.

Er schlug die Augen auf und die Überraschung hätte nicht größer sein können. Er lag in voller Größe in seinem Bett und lebte. Auf der Bettkante saß- Mrs. Bixby. Sie hatte beide Hände vor’s Gesicht geschlagen und weinte bitterlich.

„Aber aber, was ist denn nur passiert?“ Henry war sich noch nicht ganz sicher ob er wirklich noch lebte, aber so wild wie sein Herz schlug, deutete alles daraufhin. „Nun beruhigen sie sich doch Mrs.Bixby! warum weinen sie denn so?“ Henry legte eine Hand auf Mrs. Bixbys Schulter und drückte ganz sachte zu. Es war eine sehr beruhigende Geste und Mrs. Bixbys Schluchzen wurde augenblicklich ruhiger und verstummte schließlich ganz. Mrs. Bixby kramte umständlich in ihrer Handtasche, zog endlich ein Taschentuch heraus und schneuzte sich kräftig.

Inzwischen dämmerte Henry was geschehen war. Er war nicht zusammengeschrumpft und er war auch nicht gestorben. Seine Einbildung hatte ihm lediglich einen Streich gespielt, wobei allerdings die Folgen so täuschend echt gewirkt haben mussten, das die arme Frau Bixby zu Tode erschrocken war.

„Liebe Mrs. Bixby, so beruhigen sie sich doch! Es ist ja nichts geschehen- oder?“ Und schon begann Mrs. Bixby erneut zu weinen. Diese heftige Reaktion verwunderte Henry nicht wenig und veranlasste ihn zu der Frage: “Aber Mrs. Bixby, um Himmels Willen, warum weinen sie denn so?“ Dabei hatte Henry ihre Hand zwischen seine Hände genommen und tätschelte sie beruhigend. Ihre Hand war eiskalt und Henry ahnte, wie sehr sie wohl erschrocken war. Ihr Gesicht war kreidebleich und tränenüberströmt.

„Ach Mr. Hopkins! Ich dachte ja sie - sie seien - seien vielleicht…“ Hier wurde sie von einem erneuten Weinkrampf unterbrochen. Sie konnte sich nicht mehr beherrschen und weinte hemmungslos. Henry saß ratlos daneben und wusste nicht wie er ihr helfen sollte. Da ergriff er einfach die Methode, die auch ihm selbst immer am besten geholfen hatte.

Er setzte sich aufrecht neben Mrs. Bixby, legte einen Arm um ihre Schulter, zog ihren Kopf auf seine Brust und hielt sie einfach fest. Mrs. Bixby ließ es einfach geschehen und weinte sich in seinen Armen aus. Während sie so vor sich hin weinte, fragte sich Henry, warum die gute Frau sich so erschrocken hatte. Er konnte sich nicht vorstellen, warum die Vorstellung von seinem Tode dieser Frau so nahe gehen sollte. So in Gedanken verloren begann Henry ihr mit der Hand über das Haar zu streichen. Es war ganz nass vom Regen, das bemerkte er erst jetzt. Aber das Haar war sehr weich und roch wirklich gut, auch das bemerkte er. So saßen sie nun eine ganze Weile und Mrs. Bixby hatte sich längst wieder gefasst. Sie machte allerdings keinerlei Anstalten sich aus Henrys Umarmung zu befreien und Henry war offensichtlich nicht gewillt, sie von sich aus loszulassen. Beide fürchteten sich offenbar vor dem Augenblick, in dem einer von Beiden etwas sagen würde oder in dem sie sich wieder ansehen mussten. Schließlich gab Henry sich einen Ruck und Mrs. Bixby frei. Ohne ein Wort zu sagen stieg er auf der ihr abgelegenen Seite aus dem Bett und zog sich langsam und umständlich den Bademantel über, wobei er ihr den Rücken zukehrte. Dadurch wollte er ihr Gelegenheit geben sich unauffällig ein wenig in Ordnung zu bringen. Ihr wäre es sicher peinlich gewesen, wenn er sie in ihrem aufgelösten Zustand angesehen hätte. Und während er in seine Hausschuhe schlüpfte hörte er Mrs. Bixby in ihrer Handtasche wühlen. Henry trat ans Fenster und sah in den herbstlichen Garten hinab. Inzwischen hatte es aufgehört zu regnen und der Wind trieb das bunte Laub spielerisch über den Rasen.

„Wissen sie, Mrs. Bixby, während ich mich wasche und anziehe, könnte sie uns einen kräftigen Tee kochen. Den werden wir dann in aller Ruhe zusammen trinken. Und wenn sie möchten, dann trinken wir auch noch einen Schluck alten Portwein, um diesen Schreck hinunterzuspülen.“

Henry erschrak über seine blecherne Stimme, aber sein Mund war ja auch ganz trocken. Hoffentlich empfand sie sein Angebot nicht als zu aufdringlich, denn sie hatten in den letzten fünf Jahren noch nie zusammengesessen und Tee getrunken, geschweige denn sich unterhalten. Erst jetzt fiel Henry auf, wie wenig er über diese Frau wusste.

Hinter sich hörte er ein leises Räuspern. Mrs. Bixby hatte offensichtlich ihre Fassung wiedergewonnen.

„Gerne Mr. Hopkins. Einen Tee- ja, den könnte ich jetzt wirklich gebrauchen…“

Es entstand eine kleine Pause. Aber beide waren zu verlegen um etwas zu sagen. Henry hörte wie Mrs. Bixby aufstand und das Zimmer verließ.

„Ich weiß nicht einmal ihren Vornamen“ dachte Henry „es ist unglaublich, das ich nichts von ihr weiß. Ich muss mich unbedingt einmal mit ihr unterhalten.“

Eilig, aber nicht hastig wusch sich Henry. Dann rasierte er sich auch noch, obwohl er sich sonst an den Wochenenden nie zu rasieren pflegte. Das war eine alte Angewohnheit und das Unrasiertsein an den Wochenenden bedeutete Henry, das er von allen Pflichten befreit war und er wirklich frei hatte und ausspannen konnte. Ganz entgegen seinen Gewohnheiten benutzte er sogar Rasierwasser. Dann ging er ins Schlafzimmer zurück und begann sich anzukleiden. Er wählte einen Anzug aus weichem Leinen, ein weißes Hemd und eine moosgrüne Seidenkrawatte. Dann zog er noch die braunen, italienischen Schuhe an und betrachtete sich im Spiegel.

„Gut gemacht alter Junge!“ dachte er sich und er sah wirklich gut aus. Erstaunt stellte er fest, das er inzwischen gute Laune hatte, und das, obwohl sein Tag so merkwürdig begonnen hatte. Vergessen war das Gefühl vom Morgen, als er gedacht hatte, er sei eine völlig unwichtige Person, an die sich niemand mehr erinnern würde, wenn sie einmal starb. Doch Mrs. Bixbys Tränen hatten ihm gezeigt, das er nicht allen Menschen gleichgültig war. Zumindest ein Mensch schien ihn zu mögen, oder sich wenigstens an ihn gewöhnt zu haben. Jetzt wollte er noch herausfinden, was von beidem der Fall war.

Wirklich gut gelaunt und ein Liedchen pfeifend stieg Henry die Treppe hinab, der Küche entgegen, aus der das Geschepper von Töpfen und Porzellan zu ihm hinüber klang.

ENDE

P.S.: Mit dieser kleinen Geschichte aus den Untiefen meines Schreibtisches, gratuliert blogoli sich selbst zum “ersten Geburtstag” und wünscht allen Bloggern eine gute Nacht ;-)

Nacht

Nacht Wind fegt durch meine Seele und bläst mir die Gedanken auf. Und kaum das ich es sehe nehmen sie gewohnten Lauf! All die Sachen, alle die Dinge die mir hier Umgebung sind, was ich mit Verstand erringe, alles ist Gedanken Kind. Und kein Gedanke den ich trage, kein Gefühl das ich vespür hätt’ ich jemals hell am Tage, nur die Nacht bringt’s mir herfür. Drum dank ich all den dunklen Stunden die ich zitternd hier gewacht, hätte niemals so empfunden wär sie nicht - die stille Nacht.

Sprache

Sprache Satz Wort Silbe Ton formen den Gedanken schon. Gedanken hinken hinterher, Sätze machen ist so schwer. Ton Silbe Wort und Satz, machen auf Gedanken Hatz !

Obdachlos

Als ich die Beiträge von Uns schöner Trier zum Thema Hauptbahnhof las, die darum entbrannte Diskussion verfolgte und auch an der Diskussion teilnahm, fiel mir ein Gedichtchen aus Jugendzeiten wieder ein. Vielleicht ist es dieses Unwohlsein, dieses "Nicht-Verstehen-Können" was wir "Nicht-verstehen-wollen", was uns immer wieder dazu bringt Dinge, Umstände und auch Menschen zu stigmatisieren. Oft muß man sich zusammenreißen um nicht aus Gedankenlosigkeit ungerecht zu sein. Und noch viel öfter muß man sich zwingen, Interesse an Menschen und Verständnis für Menschen zu haben. Abstempeln ist einfach. Viel zu einfach. Obdachlos Einsam sitzen sie an Ecken, schlafen in Bahnhöfen, hinter Hecken. Frieren unter kalten Brücken und niemand will sch zu ihnen bücken, mit ihnen sprechen. Denn eigentlich- gibt es sie nicht. Denn sie sind selbst schuld daran. Sie sind faul, Herumtreiber, Trinker, leben bloß auf Kosten der anderen. Und wenn einer erfriert lassen wir ihn liegen. Gehen vorbei. Kümmern uns nicht darum. Ist uns egal. War ja nur ein Mensch. Wie wir?