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Das kleinere Übel - oder der Untergang des Wählerwillens

Franz Walter, Politikwissenschaftler an der Universität Göttingen und regelmäßiger Autor auf SpiegelOnline spricht mir aus der Seele, wenn er den deutschen Politikern mangelnde Beweglichkeit attestiert.

In seinem Artikel “Ein Hoch auf die Umfaller!” auf SpiegelOnline setzt er sich, ausgehend von der Wahl in Hessen, mit den veränderten Rahmenbedingungen der deutschen Politik und der mangelnden Fähigkeit darauf zu reagieren auseinander.

Vieles ist gesagt worden in den letzten Tagen, über die Ankunft der Partei “Die Linken” im Westen. Darüber, das sich diese Partei wohl nun endgültig als fünfte Kraft etabliert habe und darüber, welche Auswirkungen das auf künftige Koalitions- und Regierungsbildungen wohl haben wird. Dabei konzentrierten sich die Kommentare meist auf Überlegungen, welche Koalitionen unter welchen Bedingungen zustande kommen könnten, ohne das “Die Linke” in einem westlichen Bundesland in Regierungsverantwortung käme. Anders macht es Herr Walter.

Im Vordergrund steht nicht die Frage der Koalitionsvermeidung mit den Linken, er setzt seinen Fokus auf die Phantasie der Parteien. Dabei sieht er die Parteien in der Verantwortung, die von Ihnen vertretene Politik auch umzusetzen. Da darf es kein Hindernis sein, auf klare Mehrheiten zu beharren, Parteien, die vom Wähler gewollt sind auszugrenzen oder gar aus Trotz, Parteiraison oder miitantem Fraktionismus auf die vom eigenen Wähler gewünschten Gestaltungsspielräume zu verzichten.

Unabhängig von in der Bundesrepublik gelernten Szenarien sollen die Parteien den Wählerauftrag ernst nehmen. Und das geht eben am Besten, wenn man Verantwortung übernehmen kann.

Minderheitenregierungen oder eben auch ungeliebte Koalitionen stellen dann keine Schwäche oder gar ein Versagen dar, sondern sind Ausdruck des unbedingten Willens, die selbst gesetzten und vom Wähler legitimierten Ziele nachdrücklich zu verfolgen.

Wie Walter richtig bemerkt, fehlt den Parteien und Politikern momentan der Mut zu solchen Entscheidungen. Ein Mut, auch das prangert Walter an, den die Parteien nicht bräuchten, hätten sie sich vor der Wahl nicht unnötig auf die Vermeidung bestimmter Koalitionen festgelegt.

Was Professor Walter in seinem Artikel so eingängig und nachvollziehbar schildert, empfinde auch ich als einen der wichtigsten Pferdefüße bundesdeutscher Politik. Zu oft stehen abgesprochene Programme den tatsächlichen Problemen gegenüber. Die mangelnde Individualität der Problemlösung, die Überhand nehmende “Parteiräson”, das Zentralisieren und Fokussieren des Politikstils hemmt die Entwicklung kreativer und charaktervoller Persönlichkeiten in der Politik. Gab es früher noch Persönlichkeiten wie Wehner oder Adenauer, die zugleich polarisierten und integrierten, so findet man heute überwiegend den Parteibibel lesenden und predigenden Pastoralreferenten á lá Roland Pofalla.

Konfrontationen, wie zur Zeit häufiger von SPD-Vertretern (”Die kann mich mal”) werden gleich als schlechter Stil bezeichnet. Und da geben sich die Damen und Herren aller Parteien die Klinke in die Hand. “Austeilen und nicht einstecken können” ist eine Beschreibung, die auf Politiker aller Parteien zutrifft. Dabei steckt auch dort nur allzu gerne Berechnung dahinter. In der Diffamierung meines Gegenüber als Politiker mit schlechtem Stil, als Politiker der “persönlich angreift statt sachlich zu argumentieren”, erhebe ich meine eigenen Ansichten in den Olymp des Unfehlbaren, mache mich unangreifbar, da ich scheinbar nicht mit Argumenten geschlagen, sondern nur noch beleidigt werden kann.

Für mich persönlich, und damit kehre ich noch einmal zu Professor Walter zurück, gibt es keine phantasievollen, charaktervollen Politiker mehr in diesem Land. (Doch es gibt sie - aber leider nicht mehr da wo sie hingehören! Chapeau Herr Geißler!) Es gibt nur noch Kalkulatoren, Buchhalter der Macht und seelenlose Programmatiker. Als Bürger mit ganz echten Empfindungen, mit realen Ängsten und Sorgen, aber auch als Bürger mit Mitgefühl für Andere, gibt es niemanden, in dessen Persönlichkeit ich mich und meine Wünsche wiederfinde. Niemand von dem ich sagen könnte, das ist meine Mann oder das ist meine Frau. Niemand von dem ich sagen könnte: “Dir vertraue ich meine Zukunft an!”

Und so lebe ich mein politisches Leben in dem Dilemma, in dem sich viele finden. Es ist die Wahl des kleineren Übels. Und das ist das schlechteste, was eine Demokratie von sich sagen kann!

Zumal, wenn wegen eines noch kleineren Übels die Chance zur Gestaltung ausgeschlagen wird.

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