#aufschrei–Eine Kakophonie als Gesellschaftsgebatte
Anett Meiritz hat den Auftakt gegeben. Mit Ihrem Artikel über sexistische Unterstellungen von Seiten der Piratenpartei (richtig muss es heißen: von Seiten einiger Personen, die auch Mitglied der Piratenpartei sind) hat Sie einen vielbeachteten und sehr persönlichen Bericht gegeben über Ihre Erfahrungen, die sie im Rahmen der Berichterstattung über die Piratenpartei mach musste.
Dieser Bericht stieß auf sehr viel Wohlwollen, wirkte er doch einerseits sehr mutig, weil Anett Meiritz damit das Thema Sexismus in die Öffentlichkeit hob und die Folgen, die es für Sie persönlich hätte haben können nicht absehbar waren. Es war aber auch ein willkommener Artikel. Bediente er doch Ressentiments gegenüber der Piratenpartei und rückte diese ungreifbare Masse der Piraten doch jenes Licht, in dem man sich das unerklärliche Phänomen der Piraten noch am ehesten erklären kann: Freaks und Spinner ohne jegliche Form von Respekt, weder vor Personen, noch vor Institutionen, noch vor Inhalten. (Eine Betrachtungsweise, der ich persönlich mich übrigens weitgehend anzuschließen geneigt bin).
Das Lob , welches Frau Meiritz dabei entgegengebracht wurde hat dabei etwas bigottes. Betont wurde doch zu sehr, dass sie das wahre Gesicht der Piraten zeige. Und betont wurde ebenfalls zu sehr, wie mutig sie ist, mit einer solchen Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. Ich finde dieses Lob verlogen. Im eigentlichen Sinne hat Frau Meiritz nichts bewundernswertes getan, außer zu berichten. Das ist ihr Beruf als Journalistin. Das Beleidigende an dem ganzen Lob für Frau Meiritz ist es, das die wahre Botschaft des Artikels nicht die Wirkung erzielte, die der Botschaft angemessen gewesen wäre. Aus meiner ganz persönlichen Perspektive ist es Frau Meiritz, die in angemessener und den Umständen entsprechend sachlicher Form, das Thema Sexismus in der Politik (und in der Folge auch das Thema Sexismus in der Gesellschaft) in den gesellschaftlichen Diskurs geworfen hat. Die in den Reaktionen stattgefundenen Verkürzungen auf die Piratenpartei waren der eigentlichen Nachricht nicht angemessen:
Es gibt in Deutschland diese Formen von Sexismus. Trotz aller Modernität und Aufgeklärtheit und eben nicht nur da, wo wir es vielleicht noch akzeptiert hätten (#fail), in den Unterschichtenfernsehstuben, bei den Vollpfosten und Vollproleten. Sexismus gibt es nach wie vor in allen gesellschaftlichen Bereichen. Das wr die Nachricht von Anett Meiritz und bei mir war sie angekommen. Schade, das der Twitterhashtag #aufschrei nicht in Folge dieses Artikels im Spon entstand, dann hätte ich mir alles folgende sparen können.
Ich habe seit Tagen diese Debatte im Kopf. #aufschrei #bruederle #sexismus
Ich habe, wie seit langer Zeit nicht mehr, so ziemlich alles darüber gelesen, was mir unter die Augen kam. Darunter war bemerkenswertes, bemerkenswert Kluges, archaisches Geschwurbel, konservativ geprägtes Verdrängungsgeplapper, unangemessen Feindseliges, Vereinfachendes, Abweichendes, eigentlich die ganze Bandbreite an Meinungsäußerungen, die der plötzlich auftauchenden Aktualität der “Story” geschuldet sind und die in ihrer schieren Masse gerne mit einer gesellschaftlichen Diskussion verwechselt werden.
Ich habe in all den Dingen die ich gelesen habe, auf Twitter und in Blogs, auf Nachrichtenseiten und in Totbaumholzpublikationen, in den Fernsehsendungen und Talkshows und auch in den Nachrichten nach dieser oft zitierten gesellschaftlichen Diskussion gesucht und ich habe sie nicht gefunden. Es gibt für mich immer noch keinen roten Faden und keine erkennbare Auswahl an Richtungen, in die diese gesellschaftliche Diskussion führen könnte. Doch wie kann das sein, nachdem gefühlt inzwischen eigentlich von Allen Alles gesagt wurde?
Ich für mich persönlich habe die Erklärung dafür gefunden. Und sie bringt mich an jenen Punkt zurück, der mir eigentlich vom ersten Augenblick an suspekt war und den ich bereits in meinem zweiten Tweet zu diesem Thema zum Ausdruck bringen wollte:
#Brüderle #Aufschrei #Jauch - Selbstkrittik #Stern Fehlanzeige. Plädiere für Trennung der Diskussion nach #aufschrei #Brüderle #Stern
— blogoli (@blogoli) 27. Januar 2013
Ich habe es bereits ganz früh in der Diskussion für einen wesentlichen Punkt gehalten, die Kritik an der Rolle des Stern, sowie die Kritik am Erscheinungstermin des Artikels von Laura Himmelreich ernst zu nehmen. Es war zu Beginn eigentlich nur so ein Gefühl, aber ich dachte “das ist nicht aufrichtig” und “wenn da mal kein Kalkül dahintersteht”. Und die öffentlichen Reaktionen hatten nicht nur häufig diesen Tenor, sondern sie waren so vorhersehbar wie das Amen in der Kirche. Von Seiten der Sternredaktion und von Frau Himmelreich wurde auf diese Anwürfe reagiert (“veränderte Relevanz”), die Reaktionen ließen aber aus meiner Sicht das notwendige Stück Selbstkritik vermissen, bzw. hätte ich mich vielleicht damit zufrieden gegeben, wenn ich hätte annehmen können, das der Zeitpunkt und die möglichen Reaktionen darauf ausreichend reflektiert worden wären. Wäre der Artikel von Frau Himmelreich dann dennoch veröffentlicht worden, hätte man aufgrund der internen Diskussion seitens des Stern sicher und stichhaltig den Verdacht der politischen Kampagne entkräften können. Ohne diese stichhaltigen Argumente ist es meiner Ansicht nach ein Himmelsfahrtkommando gewesen. Ein Himmelsfahrkommando für die gute Sache, nämlich für die wertvolle und notwendige Debatte um Sexismus und Alltagssexismus in unserer ach so modernen Gesellschaft.
Laura Himmelreich wurde seitdem in einen Widerstreit der Meinungen geworfen. Für die eine Seite ist sie nachgerade die heilige Vorkämpferin der Sache der Frauen. Für die andere Seite ist sie ein gewissenloses und gerissenen Weib oder alternativ, ein ahnungsloses Opfer der Redaktion (Männer). Es ist- je mehr ich lese, je mehr ich Kommentare von Lesern verfolge, je mehr ich mich mit unterschiedlichen Menschen unterhalte – eben keine gesellschaftliche Debatte entstanden, sondern es geht eine Spaltung durchs Land. Pro Brüderle vs. Pro Himmelreich. Sexismusdebatte ja vs. Lügenkampagne.
Diejenigen, die offen und empfänglich sind für die Thematik, diskutieren. Da gibt es viel Ahnungslosigkeit auf Seiten der Männer und dementsprechend häufiges Erstaunen, es gibt ein riesiges Bedürfnis von Frauen, sich endlich mitzuteilen und Veränderungen zu initiieren. Hier findet eine Debatte statt.
Aber es gibt so unendlich viel Reaktanz von Männern und Frauen (was die Notwendigkeit der Debatte eigentlich unterstreicht). Vieles davon ist aber zurückzuführen darauf, das diese Menschen nicht mitgenommen wurden. Das die Spieleröffnung nicht sauber war. Das die Unmenge an Berichten die Lebenswirklichkeit der Menschen nicht widerspiegelt. Und daran, das es keine glaubwürdige Moderation der Debatte gibt. Es gibt – und damit sollte die Debatte beginnen, noch nicht einmal Einigkeit darüber, worum es in der Debatte geht.
Womit wir ganz am Anfang stehen. Der unterschiedlichen Lebenswirklichkeit von Frauen und Männern steht nun die unterschiedliche Lebenswirklichkeit der #aufschrei-Debatte zu Seite. Das macht es deutlich komplizierter. Schuld daran ist der Stern. (AUSDRÜCKLICH NICHT FRAU HIMMELREICH)
P.S.: Hier ein paar meiner Meinung nach Lesenswerte Beiträge zum Thema.
Antje Schrupp http://antjeschrupp.com/2013/01/25/wie-lappalien-relevant-werden/
P.P.S: Wer glaubt, der “Debatte” eine eindeutige Tendenz ablesen zu können oder gar glaubt es sei eine gute Debatte aus Sicht der Frauen, dem sei eine vierstündige Lektüre von Leserkommentaren zu den zahlreichen Berichten empfohlen. Während auf fast allen Blogs eine überwiegend sachliche Diskussion stattfindet, ist die Bandbreite an Meinungen in den Leserkommentaren der unterschiedlichsten Zeitungen noch vielfältiger und größer, als man annehmen sollte.
Und auch die Bandbreite der Veröffentlichungen (inhaltlich, sowie die schiere Anzahl), sowie die Vielzahl an vertretenen Meinungen sind kaum auszuzählen.
Und auch die vielen ungezählten #aufschrei Tweets sind kein Beleg für die inhaltliche Qualität der Debatte.